Nur wenige Worte muss man über Notre-Dame de Paris verlieren. Unsere liebe Frau von Paris, unsere Herrin, die berühmteste Kirche Frankreichs, Europas, vielleicht sogar der Welt. Bis zur Fertigstellung des Eiffelturms waren ihre beiden Türme die höchsten Gebäude der Stadt. Nicht nur das geistige sondern auch das geografische Herz von Paris. Direkt vor der Kirche befindet sich der Point Zéro. Von hier wird die Länge aller Straßen Frankreichs berechnet. Hier lebte und litt Hugos Glöckner, hier liegt die letzte Ruhestätte des Sonnenkönigs, hier wurde Napoleon zum Kaiser gekrönt, hier wird die Dornenkrone als bedeutendste Reliquie des Christentums verwahrt. Und hier ereignete sich 2019 einer der verheerendsten Brände für das christliche Abendland.
Am Abend des 15. April kam es in der Kathedrale zu einem Großbrand, der erst am Morgen des Folgetags unter Kontrolle gebracht werden konnte. Große Teile des Dachstuhls verbrannten dabei, der hölzerne Vierungsturm stürzte ein und das Gewölbe des Hauptschiffes wurde teilweise schwer beschädigt. Zahlreiche Kunstschätze sowie die Glocken und Reliqien hingegen konnten gerettet werden. Noch am Tag nach der Tragödie machte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein ambitioniertes Versprechen. Das teilweise zerstörte Gotteshaus solle innerhalb von fünf Jahren wieder aufgebaut werden. Ein Versprechen, an das damals nur wenige glaubten und das nun kurz vor der Vollendung steht.
Fünf Jahre nach dem verheerenden Brand erlebt Notre-Dame einen spektakulären Wiederaufbau. Und in fünf Monaten soll die Kathedrale wiedereröffnen. Seit letztem Jahr bereits ragt ein identischer Nachbau des Spitzturms wieder 96 Meter hoch in den Himmel über Paris. An der Spitze befinden sich eine Krone, ein Hahn und ein Kreuz. Der Originalhahn, der in den Trümmern gefunden wurde, soll wie andere Objekte aus dem Inneren später in einem Museum über Notre-Dame ausgestellt werden.
Die zweite Wiedergeburt der Seele Frankreichs
Es war übrigens Victor Hugo, der Säulenheilige der französischen Literatur, der Notre Dame in all ihrer heutigen Bedeutung erst in das Herz der Franzosen pflanzte. Vor seinem Weltroman „Der Glöckner von Notre-Dame“ war Unsere Liebe Frau ein ziemlich mürbes Gemäuer. 1793 stürmten die Revolutionäre das Gotteshaus und zerstörten die Inneneinrichtung. Im Gegensatz zu zahlreichen Klöstern wurde die Kirche nicht abgerissen, aber entweiht. Und zum Tempel des Kults des höchsten Wesens erklärt. Ein zivilreligiöser Hokuspokus der Jakobiner. Mit dem Sturz Robbespierres war der Spuk aber schnell wieder vorbei. Später dann diente die Dame sogar als Weindepot. Doch selbst die erneute, liturgische Nutzung unter Napoleon, der sich hier zum Kaiser krönte, konnte den Verfall nicht aufhalten.
Erst durch das Buch, das 1831 erschien und das Hugo nur schrieb, um auf den beklagenswerten Zustand der Kirche aufmerksam zu machen, bekam Notre-Dame eine gründliche Sanierung und ihre Seele zurück. Und nun bekommt die Kathedrale, die zum UNESCO-Welterbe und zum geistigen Erbe jedes Franzosen gehört, zum zweiten Mal ihre Seele zurück.
Die Wiedereröffnung wird am 8. Dezember sein. Zum Fest der Unbefleckten Empfängnis, eines der höchsten Marienfeste. Ab dann können die Schüler während ihrer Klassenfahrt nach Paris endlich wieder die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Frankreichs bestaunen. Man rechnet fortan mit 14 Millionen Besuchern jährlich statt 12 Millionen wie vor dem Brand. Der Besuch der Kathedrale ist übrigens kostenlos. Kinder und Jugendliche bis 26 Jahre haben auch freien Eintritt zu den Türmen, von denen man eine fantastische Sicht über Paris hat.